die praxis der geduld

Die Praxis der Geduld


Geduld ist eine Qualität, die wir oft übersehen können, da wir denken, dass es eine geringe Tugend von wenig Bedeutung sei, eher passiv oder wenig ansprechend.


Aber in der Tat ist Geduld eine große Tugend, die uns ausserordentlich Gutes zu bringen vermag. Ein chinesisches Sprichwort sagt: "Ein Augenblick der Geduld kann ein großes Unglück verhüten. Ein Augenblick der Ungeduld kann ein ganzes Leben vernichten."


Geduld ist eine Tugend, deren Nutzen und Vorzüge wir nicht genug preisen können. Um ihren Wert zu schätzen, wollen wir uns die vielen Anlässe betrachten, wenn Geduld benötigt wird.


Die Daumenregel ist die: Wann immer Du findest, dass Du ungeduldig bist, das ist die Zeit, wenn Du Geduld am meisten brauchst.


Wenn Du z.B. feststellst, dass Du Dich aufregst oder gereizt bist – Du nimmst Deinen Gemütszustand wahr, den inneren Kommentar (z.B. kritische Gedanken) – und Du kurz davor stehst, jemanden anzufahren – genau dann merkst Du, dass Du Deine Geduld verlierst und genau dann sagst Du Dir: "Halt! Jetzt ist es Zeit, mich in Geduld zu üben." Oder: "Geduld, Geduld, ich muss jetzt geduldig sein."


Wir benötigen viel Geduld in unseren Beziehungen und in unserem Umgang mit Menschen. Oft sind es gerade die uns nahestehenden und geliebten Menschen, mit denen wir die grösste Ungeduld zeigen. Vielleicht liegt das an unserer Vertrautheit mit ihnen oder an unseren Erwartungen an sie, dass sie sich so verhalten, wie wir es für richtig halten.


Es gibt einen bekannten Bibelspruch: "Die Liebe ist geduldig und gütig." Wenn wir jemanden lieben, sollten wir ihm/ihr gegenüber Geduld und Güte aufweisen. Unser geliebter Mensch (gerade so wie wir selbst) ist nicht vollkommen und wir müssen mit ihm oder ihr geduldig sein. Wir können unseren geliebten Menschen behutsam beraten oder selbst ein gutes Beispiel geben, indem wir Geduld und Sanftmut zeigen.


Denke daran: Ärger provoziert Ärger, und wenn wir Ärger oder Ungeduld zeigen, bekommen wir eher eine feindselige, negative oder kontraproduktive Reaktion zurück. Geduldig zu sein und unseren Frieden zu bewahren, ist nicht ein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Es ist leichter, unsere geistige Gelassenheit zu verlieren, als sie zu erhalten. Ein Mensch muss weise und gereift sein, um ruhig zu bleiben und nicht aus der Fassung zu geraten. Der Buddha verglich den weisen Menschen mit einem festen Fels, der nicht vom Wind erschüttert wird. Sie oder er bleibt unerschütterlich bei Beschuldigung oder Lob oder angesichts von Provokationen und Wechselfällen.


Wenn wir wütend werden mit einem geliebten Menschen, einem Freund oder irgendjemand anderem, können wir uns die guten Qualitäten dieser Person ins Gedächtnis rufen. Vielleicht hat sie sich uns schon sehr liebevoll, herzlich und grosszügig gezeigt, oder sie hat uns auf irgendeine Weise Gutes getan. Eine derartige Reflektion kann uns helfen, weicher zu sein und mehr Geduld zu besitzen.


Verständnis ist der Schlüssel zur Geduld und zu allen anderen guten Eigenschaften. Unser Charakter wird durch unsere Konditionierung geformt, von Kindheit an, unser ganzes Leben lang. Es ist einfach, ein konditioniertes, gewohnheitsmässiges Verhalten zu wiederholen, jedoch ausgesprochen schwierig, es im Zaum zu halten und zu ändern. Aber es kann durchaus erreicht werden, durch Achtsamkeit, einen starken Willen, sich zu ändern, und durch beharrliche und ständige Bemühung, diese Veränderung hervorzubringen.


Wir selbst sind ja auch nicht vollkommen, und wir können leicht sehen, wie schwierig es ist, unsere eigenen negativen und unzuträglichen Gewohnheiten zu ändern. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir geduldiger sein mit unseren Lieben und anderen.


Es ist wichtig, sich darüber klar zu sein, dass wir andere Menschen nicht ändern können. Sie müssen sich selbst verändern. Wir können ein gutes Beispiel und ein positiver Einfluss sein und weisen Rat geben, aber die Bemühung, sich zu verändern, muss von jedem für sich selbst unternommen werden. Keiner kann es für uns tun. Wir selbst müssen uns bemühen.


Auf jeden Fall ist unsere Geduld bedingungslos. Wir üben uns in Geduld nicht nur um anderer willen, sondern auch für uns selbst, da wir fest an Geduld glauben und daran, unter allen Umständen, ohne Ausnahme, unsere Fassung zu bewahren.


Geduld und Nicht-Ärger treten zusammen auf. Der Heilige Franz von Sales drückte es treffend aus, als er sagte, dass es wichtiger ist, unsere Fassung zu bewahren, als etwas nur dann zu erreichen, wenn wir sie dabei verlieren. Es ist, als würde man sieben Achtel (unsere Fassung) auf Kosten eines Achtels (den Erfolg) verlieren.


Auch der Buddha sprach sich ausdrücklich für den Nicht-Ärger aus. Sogar wenn Räuber einen grausam zerstückeln würden, so sagte er, sollte man keine Gedanken der Feindseligkeit in sich nähren, sondern Gedanken des Wohlwollens gegenüber seinem Angreifer und somit allen anderen Wesen gegenüber, ohne Diskriminierung.


Wenn wir dieses Lehrbeispiel im Sinn behalten, sagte der Buddha, dann sollten wir weniger dramatische Situationen ertragen können, wie wenn z.B. jemand grob oder schroff mit uns spricht. 


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Ein paar Beispielfälle, wo Geduld angebracht sein mag: Wenn wir auf ein Amt müssen, kann es leicht vorkommen, dass wir ungeduldig oder verdrossen sind mit einem Bürokraten, der unhöflich, gleichgültig, nicht hilfreich, unvernünftig, unkompetent usw. ist. Sei grosszügig. Denke Dir, dass dieser Mensch vielleicht unter stressvollen Bedingungen arbeitet, oder dass er unglücklich ist mit seinem Leben, oder nicht in einer guten Stimmung ist, oder er hat einfach nicht die rechte Einstellung was Dienst und Dienstleistung anbelangt. Auf jeden Fall ist es unsere Praxis, Geduld in allen Situationen zu kultivieren, ohne Ausnahme, und wir können diese Episode als weiteren Anlass oder weitere Gelegenheit für unsere Geduldspraxis nutzen. Ausserdem, wie können wir uns in Geduld üben, wenn wir nicht geprüft werden? Also können wir in diesem Fall sogar denken: "Danke dir, dass Du mir eine Gelegenheit gibst, meine Geduld zu üben und zu stärken!" und dann sende Metta und wünsche: "Mögest Du glücklich sein."


Manchmal können wir in einem Restaurant unzufrieden mit dem Essen oder der Bedienung sein. Es ist nutzlos, uns zu ärgern, da wir leiden, wann immer wir unsere geistige Fassung verlieren. Ärger ist nicht nur schmerzlich, sondern auch gefährlich; er macht uns elend, erhöht unseren Blutdruck, gefährdet unsere Gesundheit und stärkt erneut die unheilsame Neigung, uns zu ärgern. Wiederum müssen wir achtsam sein und weise reflektieren, um ruhig zu bleiben.


Wenn wir mit jemanden zu tun haben, von dem wir denken, er sei kulturlos, ungehobelt, unanständig, unnütz, dumm, unkompetent usw., so sollten wir uns in Geduld und Toleranz üben. Wir sollten nicht selbstgefällig werden und auf diesen Menschen herabsehen. Eine weiser und edler Mensch behandelt jeden mit Respekt und Höflichkeit. Es anders zu machen würde bedeuten, dass wir uns auf dasselbe Niveau herunterbegeben wie die Person, die wir verachten. Wir sollten uns immer und jederzeit unserer Praxis erinnern, d.h. ruhig zu bleiben und uns so zu verhalten, wie wir denken, dass es ein weiser Mensch tun würde, der seine Gefühle, seine Rede und seine Taten unter Kontrolle hat.


Mehr noch, wir können Mitgefühl zeigen mit einer Person, die unfähig ist, sich gut zu betragen. Möglicherweise hatte sie kein entsprechendes Training oder angemessene Führung, oder vielleicht hat sie sich nicht ausreichend Mühe gegeben, sich zu bessern. Wir schätzen uns glücklich, dass wir in einer besseren Lage sind. Ohne Zweifel kann ein ungeschulter Mensch anderen Leiden verursachen – aber in dieser Welt werden wir leider viele derartige Leute treffen, die uns zuweilen aufregen. Wenn uns das jedesmal aus dem Gleichgewicht bringt, wenn wir mit so einer rücksichtsloser Person zu tun haben, wird es eine Menge Aufruhr und Leid in unserem Leben geben. Es ist besser für uns, an unsere Praxis zu denken und uns um unseren eigenen Geist zu kümmern. Ausserdem sind auch wir selbst weit davon entfernt, vollkommen zu sein, wir sind nicht frei von Mängeln, machen Fehler und befinden uns noch im Training. Indem wir dermassen reflektieren, können wir geduldiger sein, toleranter und verständnisvoller.


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Ein wichtiger Vorbehalt, der hier erwähnt werden muss, ist, dass Geduldigsein nicht bedeutet, dass wir uns von anderen wie ein Fussabstreifer behandeln lassen. Es bedeutet nicht, dass wir lammfromm Missbrauch und Ungerechtigkeit leiden, ohne zur Tat zu greifen. Selbstverständlich können wir klar und deutlich sagen, was Sache ist und angemessen handeln. Wir können standhaft und entschieden sein. Wir können Massnahmen ergreifen, um uns zu schützen und unsere Würde zu bewahren. Aber in allem, was wir tun, handeln wir ruhig und ohne Ärger, stattdessen aus einer Position der Weisheit, geistigen Klarheit und des Gleichmuts.


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Werden wir ungeduldig im Verkehr, vor allem mit ungehobelten, rücksichtslosen und gefährlichen Fahrern? Steigt unser Blutdruck, schiesst unser Adrenalin hoch, verspannen wir unseren Körper? Wiederum müssen wir achtsam sein und nicht in das Muster der Verärgerung fallen, nicht erregt und verkrampft sein. Wir müssen uns in Geduld, Toleranz, Gleichmut, Ruhe üben, und unsere geistige Fassung, Heiterkeit, einen Sinn für Humor, weise Reflektion und Weisheit bewahren. Wir sagen nicht, das diese Praxis leicht ist – deshalb nennt man es eine Praxis, ein Training, – aber wenn wir es immer weiter versuchen, werden wir bestimmt Fortschritte machen.


Wenn uns jemand rücksichtslos den Weg abschneidet oder gefährlich überholt, können wir ruhig bleiben und wünschen: "Möge diese Person mit mehr Verantwortung fahren. Möge er seine gefährlichen Fahrgewohnheiten ändern. Möge er glücklich sein und möge ich einen kühlen Kopf bewahren."


Wenn wir im Stau stehen, können wir da geduldig sein, uns in unserem Sitz zurücklehnen und Metta senden, indem wir Gutes für alle wünschen, die um uns herum ebenso im Stau stecken? Können wir auf unseren Atem zurückkommen, uns unseres Körpers und Geistes bewusst sein, über Lehren, die wir erlernt haben, weise reflektieren und nachdenken, um den Geist auf gesunde Weise zu beschäftigen? Falls ein Freund mit uns im Auto sitzt, könnten wir uns anregend unterhalten.


Wollen wir nicht alle schnell noch über die Ampel fahren, bevor es rot wird, und sind wir bei roter Ampel nicht ungeduldig, bis es grün wird? Da wir ja keine Wahl haben ausser anzuhalten, können wir dies geradeso gut zum Anlass nehmen, Atem zu holen, Pause zu machen, zu unserem Atem zurückzukommen, uns zu entspannen, Metta zu senden (Mögen alle Wesen glücklich sein, möge der oder jener glücklich sein), uns in weiser Reflektion zu üben, oder uns sogar ein Liedchen zu singen oder zu pfeifen usw., irgendetwas, um den Geist in einem gesunden, ruhigen und angenehmen Zustand zu halten. Das moderne Leben ist stressvoll und hektisch. Wir sind es gewohnt, herumzuhetzen, immer auf dem Sprung. Daher ist es weise, auf eine rote Ampel gekonnt und nutzbringend zu reagieren.


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Wenn wir im Internet sind, nehmen wir wahr, wie ungeduldig wir sind, dass alles sofort mit einem Mausklick erscheint? Wir wollen alles schnell und augenblicklich, aber so geht es eben nicht immer. Dann werden wir ungeduldig, genervt, ärgerlich, und raufen uns die Haare. Und so ist es wiederum an der Zeit, uns in Geduld zu üben. Sei Dir deiner Ungeduld bewusst. Nimm wahr, wie sich der ungeduldige Geist anfühlt. Es ist unangenehm und stressvoll. Erinnern wir uns daran, geduldig zu sein, zurückzukommen zu unserem Atem, den Körperwahrnehmungen und unserem Bewusstsein. Sende Metta, wünsche Gutes für alle Wesen oder jemand Bestimmten, während du wartest.


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Hetzen wir durch unsere Hausarbeiten wie Spülen, Kochen, Putzen etc.? "Eile mit Weile" – manchmal sind wir gar nicht so schnell, wenn wir hetzen. Wir beschädigen oder zerbrechen einen Teller eher oder machen einen Fehler. Also warum bremsen wir nicht ein bisschen ab, sind achtsam und versuchen, alles auf eine ruhige und gesammelte Weise zu erledigen? Wir können sogar Metta senden, während wir diese Pflichten erfüllen. Uns umziehen, duschen, unsere Zähne putzen, auf die Toilette gehen etc., wir können alles achtsam, ruhig, friedvoll und geduldig tun. Dies ist notwendig, um eine gewisse Besonnenheit in unserem Alltag zu bewahren.


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Wenn wir jemandem zuhören, sind wir ungeduldig? Schneiden wir der Person das Wort ab, sogar bevor sie ihren Satz vollenden kann? Oder vervollständigen wir den Satz für sie? Es ist gut, uns unserer Ungeduld wahrzunehmen und jemandem Zeit geben, seinen Satz zu beenden oder bis er gesagt hat, was er zu sagen hatte. Unser Gegenüber fühlt sich wohl, wenn wir das mchen; sie fühlt sich gehört und ist zufrieden. Ausserdem können wir besser auf sie eingehen, wenn wir uns bemühen, geduldig, aufmerksam und tiefgehend zuzuhören. 


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Sind wir ungeduldig mit jemandem, von dem wir denken, dass er beschränkt ist oder zu langsam, etwas zu begreifen? Sei geduldig. Nicht jeder mag damit gesegnet sein, so clever zu sein, wie du denkst, dass du bist. Ein weiser Mensch wird immer geduldig sein mit denen, die langsam im Lernen sind und sie geduldig des Weges lenken.


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Manchmal hören wir von Ärzten, die kurz angebunden und ungeduldig mit ihren Patienten sind. Wenn ein Doktor in der Haut seines Patienten stecken würde, dann würde auch er Antworten auf seine Fragen wollten, würde Beruhigung und Klärung wünschen. Ohne Zweifel mag in Arzt bisweilen unter grossem Zeitdruck stehen und ein Patient muss, in bestimmten Situationen, Rücksicht auf andere nehmen, die auch warten. Jedoch im Allgemeinen, oder doch so weit wie möglich, sollte ein Arzt seinem Patienten angemessene Zeit widmen und das Nötige geduldig und klar erläutern. Er sollte aufrichtig sein im Bestreben, seinen Patienten gut zu behandeln, mit Mitgefühl und Respekt.


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In einem Meditations-Retreat brauchen wir viel Geduld und Ausdauer, da wir uns mit den fünf Hinderungen auseinandersetzen müssen: mit Sinnesbegierde, Übelwollen, Mattheit und Stumpfheit, Rastlosigkeit und Sorge, und skeptischem Zweifel. Ebenso muss der Meditierende körperliche Schmerzen und Beschwerden aushalten, Hitze und Kälte, Insekten, wie z.B. Mücken und Fliegen, und oft alles andere als ideale Praxisbedingungen.


When wir in Meditation sitzen, kann der Geist viel wandern. Man muss sehr geduldig sein, ihn immer wieder zum Meditationsobjekt zurückzubringen, im Bewusstsein dass, auch wenn wir sogar die ganze Stunde bloss den Geist jedesmal zurückholen, wenn er abwandert, die Stunde doch gut verbracht ist, denn man übt sich in Bewusstheit des Geistes und schafft die Gewohnheit, ihn zum Meditationsobjekt zurückzubringen. Auch kann man in diesem Zusammenhang anerkennen und würdigen, was der Buddha meinte bezüglich Nicht-Selbst (anatta) – es ist nicht etwas, das deinem Wunsch oder Befehl entspricht, sondern etwas, das Konditionierung und Gewohnheit unterworfen ist. Mit Übung können wir den Geist trainieren und konditionieren, beim Meditationsobjekt zu bleiben und sowohl Ruhe als auch Einsicht zu entwickeln.


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Wenn man krank ist oder unter chronischen Beschwerden leidet wie z.B. Arthritis, Asthma, chronischem Husten, Rheumatismus, unter körperlichen Schmerzen und Unwohlsein, dann braucht man viel Geduld und Toleranz, um das körperliche Leiden zu ertragen. Wenn wir unsere Geduld hin und wieder verlieren und aufgewühlt oder depressiv werden, müssen wir achtsam sein und unsere Geduld, Toleranz und unseren Gleichmut wiederherstellen.   


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Bist du ungeduldig mit deinen spirituellen Fortschritten? Dies kann geschehen, wenn du in Verzweiflung verfällst und denkst, dass du nicht genügend Fortschritt machst, dass du zu langsam vorwärtskommst oder nicht genügend Bemühung unternimmst, oder dass Du trotz all Deines Bestrebens nicht viel vorankommst. Es ist verständlich, dass du manchmal so fühlst. Jedoch sollten wir nicht den Mut verlieren, sondern es weiter versuchen und Glauben und Vertrauen darauf haben, dass sich alles zu seiner gegebenen Zeit entwickelt.


Der Geist ist etwas Bedingtes, und wenn wir ihn dazu konditionieren, dass er all die Werte, die uns lieb sind, kultiviert, dann wird er dahingehend auch geneigt sein. Wir können sehen, wie wir immer mehr zu der Person werden, die wir gerne sein möchten, wie bestimmte Qualitäten der Achtsamkeit, der Güte, des Verständnisses, der Fähigkeit zu weiser Reflektion usw. in uns wachsen, wie sie immer natürlicher in uns auftreten. Wir sollten diesen Fortschritt anerkennen und wertschätzen und uns selbst beglückwünschen, dass wir bis hierher gekommen sind. Wir sollten geduldig und uns darüber klar sein, dass es Zeit braucht, bis wir vollkommen erleuchtet sind und absolut frei von allen geistigen Verunreinigungen wie Gier, Hass und Täuschung.


Fortschritt ist ein stufenweiser Prozess. Der Buddha verglich ihn mit einem Bauer, der sein Feld bestellt. Der Farmer kann nicht sofort nach dem Pflügen seines Feldes und der Aussaat erwarten: "Lass meine Feldfrüchte heute wachsen! Lass sie morgen reif sein! Lass sie übermorgen Korn tragen!" Aber mit dem allmählichen Jahreszeitenwechsel wachsen die Pflanzen, reifen und tragen Frucht.


Ein weiteres Beispiel, das der Buddha gab, handelt von der Axt, die der Zimmermann zur Formung des Holzes nutzt. Mit langanhaltendem Nutzen wird es mit der Zeit eine Einkerbung am Axtstiel geben, das vom Druck der Finger und des Daumens des Zimmermanns verursacht wird.

Jedoch kann der Zimmermann nicht wissen: "Heute habe ich so-und-so-viel vom Axtstiel abgetragen, so viel gestern, und so viel vorher; aber wenn sie abgetragen ist, dann weiss er, dass sie abgetragen ist."


So ist es auch, wenn sich die spirituell Übende der Kultivierung ihres Geistes widmet, und sie kann nicht wissen: "Heute habe ich so-und-so-viel der geistigen Befleckungen abgetragen, so viel gestern, und so viel vorher", jedoch wird sie es durch hingebungsvolle Praxis mit der Zeit dazu bringen, schrittweise die Verminderung, Abtragung und Beseitigung dieser Befleckungen zu erfahren.


Schauen wir uns ein weiteres Gleichnis des Budda an: "Geradeso, wie der grosse Ozean sich allmählich neigt, abschrägt und ansteigt, nicht abrupt abfällt, so erfolgt auch in diesem Dhamma und in dieser Disziplin der Durchbruch zu endgültigem Wissen durch schrittweises Training, schrittweise Tat und schrittweise Praxis, nicht schlagartig."


Ermutigend ist auch das Beispiel eines Steinschleifers, das der Sozialreformer Jacob Riss gegeben hat: "Schau einen Steinschleifer an, der stetig auf den Stein hämmert, ohne dass sich auch nur ein Riss zeigen würde. Aber beim hundertersten Schlag wird er entzwei springen, und es war nicht der letzte Schlag, der das vollbracht hat, sondern alle vorhergehenden."


Also sollten wir uns ein Herz fassen. Unser Job ist der, einfach immer weiter zu üben und wir werden sicherlich Fortschritte machen. Wir müssen Glauben und Vertrauen in uns selbst und den Entwicklungsprozess haben. Wir müssen einfach dranbleiben und alles wird zu gegebener Zeit Gestalt annehmen. Wenn wir zu einem späteren Zeitpunkt einen bedeutsamen Fortschritt feststellen, dann müssen wir uns vor Augen führen, dass es all der Mühe zu verdanken ist, die wir uns bisher gegeben haben, dass wir so weit gekommen sind. Also ist jegliche Bemühung, die wir uns jetzt geben, niemals verloren; all dieses trägt zu unserer Entwicklung und unserem Fortschritt bei.


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Dass Geduld eine der zehn Vollkommenheiten darstellt, die von dem Bodhisatta kultiviert werden, unterstreicht ihre Bedeutsamkeit. Man sagt von Siddhatha Gotama, dass er in unzähligen Leben Geduld kultivierte, bevor es ihm endlich gelang, in seinem letzten Leben ein Buddha zu werden.


Es ist interessant, die Qualitäten zu kennen, die bis zur Vollkommenheit praktiziert werden müssen, um ein Buddha zu werden. Diese sind 1) Freigebigkeit oder Grosszügigkeit, 2) Moral oder Sittlichkeit, 3) Verzicht oder Entsagung, 4) Weisheit, 5) Bemühung oder Willenskraft, 6) Geduld, 7) Wahrhaftigkeit, 8) Entschlossenheit, 9) Liebende Güte und 10) Gleichmut.


Dem Pali-Kommentar zufolge ermahnte der Buddha einmal einen Mönch, der seinen Ärger nicht kontrollieren konnte: "Nach all dem, was ich Dich gelehrt habe, warum lässt Du immer noch Ärger zu? Die Weisen vergangener Tage, obwohl sie tausend Hiebe erlitten und ihnen Hände und Füsse und Ohren abgehackt wurden, zeigten keinen Ärger gegen einen anderen Menschen." Und dann erzählte der Buddha seine Geschichte, wie er Geduld und Nicht-Ärger praktizierte, sogar als er in einem früheren Leben grausam zu Tode gefoltert wurde.


Zu jener Zeit war der Bodhisatta (der zukünftige Buddha) ein Asket, der in einem Park lebte. Eines Tages kam der König mit seinem Gefolge in den Park. Er wurde von seinen Tänzerinnen unterhalten. Als er müde wurde und einnickte, wanderten die Frauen in den Park und trafen dort den Bodhisatta. Sie baten den Bodhisatta, ihnen einen erbaulichen Vortrag zu halten.


In der Zwischenzeit wurde der König aufgeweckt von einer seiner Lieblings-Kurtisanen, die zurückgeschlendert war. Die Kurtisane informierte den König darüber, dass die anderen Haremsmitglieder sich um einen Asketen kümmerten. Erzürnt durch Eifersucht ging der König, um den Bodhisatta zu konfrontieren und forderte ihn heraus: "Wer bist Du und welche Lehre predigst Du?"


"Die Lehre der Geduld, Eure Majestät", antwortete der Bodhisatta.


"Was ist diese Geduld?" fragte der König?


"Das Nicht-Ärgerlichsein, wenn dich Menschen missbrauchen und schlagen und beschimpfen."


Sagte der König: "Nun werde ich die Wirklichkeit Deiner Geduld sehen." und er rief seinen Henker, der näherkam und fragte: "Was ist Ihr Wohlgefallen, Sir?"


"Packe diesen schäbigen Schurken von einem Askesen und schleppe ihn weg", sagte der König. "Wirf ihn auf den Boden und gib ihm zweitausend Schläge mit Deiner Peitsche."


Dies wurde getan. Und die Haut des Bodhisatta wurde bis ins Fleisch geschnitten, und das Blut floss.


Der König fragte wieder: "Welche Lehre predigst Du, Mönch?"


"Die Lehre der Geduld, Ihre Hoheit." antwortete der Asket. "Ihr meint, dass meine Geduld nur oberflächlich sei. Sie ist nicht oberflächlich, sondern tief in meinem Herzen gefestigt, wo sie nicht von Euch gesehen werden kann, Sir."


Der König befahl seinem Henker: "Hacke beide Hände dieses falschen Asketen ab." Und der Henker tat es. Immer noch nicht zufrieden, sagte der König: "Ab mit seinen Füßen." Und die Füße des Bodhisattas wurden abgetrennt. Und das Blut floss aus den Enden seiner Gliedmaßen.


Wiederum fragte der König, welche Lehre der Bodhisatta predige. "Die Lehre der Geduld, Ihre Hoheit." antwortete dieser. "Ihr stellt Euch vor, Sir, dass meine Geduld in den Gliedmaßen meiner Hände und Füße wohnt. Sie ist nicht dort, sondern sitzt tief an einem anderen Ort."


Der König sprach: "Schneide ihm die Nase und Ohren ab." Der Henker gehorchte. Der ganze Körper des Bodhisattas war nun mit Blut besudelt. Wiederum fragte der König nach des Bodhisattas Lehre. Und dieser antwortete: "Denke nicht, dass meine Geduld in den Spitzen meiner Nase und Ohren säße: Meine Geduld ist tief in meinem Herzen gefestigt."


Als er sah, dass er den Bodhisatta auf keinerlei Weise provozieren konnte, zertrat der König dessen Brust und ging ärgerlich davon.


Der Befehlshaber der Armee kam und beschwor den Asketen, keinen Fluch auf das Königreich zu legen. Dies jedoch war das letzte, was der Bodhisatta im Sinn hatte, und er antwortete:


"Lang lebe der König, dessen grausame Hand meinen Körper dergestalt zunichte gemacht hat. Reine Seelen wie die meine betrachten solche Taten niemals mit Ärger."


Die Geschichte erzählt, dass der Bodhisatta am selben Tag starb und in seiner nächsten Geburt weiterhin seine Perfektionen kultivierte. Bald danach starb der König und wanderte natürlich zur Hölle.


Selbstverständlich würde man in unserer modernen Zeit die Wahrhaftigkeit dieser Geschichte hinterfragen. Wie könnte eine Person solchen Schmerz ertragen und sich noch mit dem König unterhalten! Ich sehe dies mehr als eine Lektion in Moral, um uns zu ermutigen, unter allen Umständen Geduld, Nicht-Ärger und Vergebung zu praktizieren.


Es ist dieselbe Unterrichtung wie jene, die der Buddha im "Gleichnis von der Säge" gab: "Mönche, selbst wenn Euch Verbrecher grausam verstümmeln, Euch Glied für Glied mit einer Doppelgriffsäge abtrennen würden, würde derjenige, welcher einen hasserfüllten Geist gegen diese Menschen zulassen würde, nicht meiner Lehre folgen.


"Darin, ihr Bhikkhus, solltet ihr euch so üben: 'Unser Geist wird unbeirrt bleiben, und wir werden keine bösen Worte äußern; wir werden in Mitgefühl für ihr Wohlergehen verweilen, mit einem Geist voll Liebender Güte, ohne inneren Haß.


Wir werden verweilen, indem wir sie mit einem Herzen durchdringen, das von Liebender Güte durchtränkt ist; und mit ihnen beginnend werden wir verweilen, indem wir die allumfassende Welt mit einem Herzen durchdringen, das von Liebender Güte durchtränkt ist, unerschöpflich, erhaben, unermeßlich, ohne Feindseligkeit und ohne Übelwollen.‘ Auf solche Weise solltet ihr euch üben, ihr Mönche.“


Weiterhin fragte der Buddha, ob die Mönche, wenn sie sich das Gleichnis von der Säge ständig vor Augen hielten, es irgendeine Art beleidigender oder unflätiger Rede geben könne, sei sie unbedeutend oder grob, die sie nicht ertragen oder aushalten könnten.

Die Mönche antworteten: "Nein, ehrwürdiger Herr," worauf der Buddha erwiderte: „Daher solltet ihr diesen Ratschlag vom Gleichnis von der Säge stets im Gedächtnis behalten. Das wird lange Zeit zu eurem Wohlergehen und Glück gereichen.“


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Geduld ist der Schlüssel zur Praxis des Nicht-Ärgers. Sobald wir ärgerlich werden, heißt das, dass wir unsere Fassung verloren haben. Der Weise ist der, welche seine Fassung unter allen Umständen und vor allem angesichts erheblicher Herausforderung bewahrt. Wer unbeeindruckt bleibt, ist nicht schwach. Er oder sie ist stärker und demjenigen überlegen, der seiner Wut freien Lauf läßt. Tatsache ist, dass es viel leichter ist, Ärger zu zeigen als ihn zurückzuhalten.   


Natürlich werden wir, die wir im Training sind, immer noch unsere Fassung verlieren. Wir sind kein Buddha oder Bodhisatta. Aber wir können uns so viel und so gut in Geduld üben, wie es uns möglich ist. Und je mehr wir sie praktizieren, desto mehr werden wir ein Gefühl der Fertigkeit und Zufriedenheit spüren. Wir werden glücklicher sein und viel besser in der Lage, Glück zu verbreiten.








"Geduld ist die Gefährtin der Weisheit."

St. Augustinus


"Ein Augenblick der Geduld kann ein grosses Unglück verhüten. Ein Augenblick der Ungeduld kann ein ganzes Leben vernichten."

Chinesisches Sprichwort


"Geduldige Ausdauer ist die höchste Praxis."

Buddha


"Ein Augenblick der Geduld bewahrt vor tausend Augenblicken der Reue."

Verfasser unbekannt